„Wir müssen jetzt in die Aktie Barrierefreiheit investieren!“
Barrierefreiheit wird immer wieder angemahnt – doch wird sie wirklich umgesetzt und gelebt? Wie wichtig es ist, das Thema in den Köpfen der Menschen zu verankern und wie konsequent andere Länder damit umgehen, hat der VdK im Gespräch mit Dr. Isabell Rink erfahren. Sie leitet seit Ende 2024 das Landeskompetenzzentrum für Barrierefreiheit in Niedersachsen.

Trotz UN-Behindertenrechtskonvention und mehrerer niedersächsischer Aktionspläne zur Inklusion steht das neu gegründete Zentrum für Barrierefreiheit vor einer Mammutaufgabe. Denn Barrierefreiheit umfasst alle Lebensbereiche, doch von einem barrierefreien Niedersachsen sind wir aktuell noch weit entfernt. „Wir merken zwar, dass Probleme wahrgenommen werden, wenn etwa nicht genügend barrierefreie Wohnungen vorhanden sind“, erklärt Dr. Rink. „Aber das Thema wird noch nicht ernst genug genommen. Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Barrierefreiheit wirklich jedem Menschen hilft. Es muss in den Köpfen ankommen, erst dann können wir wirklich etwas erreichen.“ So sind beispielsweise Schreiben von Behörden und Ämtern für Menschen mit kognitiven Einschränkungen ein unüberwindbares Hindernis – Texte in leichter Sprache könnten hier helfen. „Und seien wir mal ehrlich: Nach einem anstrengenden Arbeitstag wären wir doch alle froh über kurze und kompakte Informationen. Sie würden also allen bei der Kommunikation mit den Behörden helfen“, weiß Isabel Rink.
Barrierefreiheit hilft jedem Menschen
Für sie ist Barrierefreiheit der Generalschlüssel für ein gesellschaftliches Miteinander und unbedingt erforderlich für Inklusion. „Barrierefrei bedeutet: Der Zugang zu Räumen, Produkten, Dienstleistungen oder Bildungs- und Freizeitangeboten ist gegeben. Beim Thema Inklusion wären wir noch einen entscheidenden Schritt weiter: Dann könnten die Menschen frei wählen, welchen Arzt sie aufsuchen, welchen Wohnort und welches Umfeld sie bevorzugen.“ Doch so weit ist Niedersachsen nach Auskunft von Isabel Rink noch lange nicht. Trotzdem gelte es, nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern stattdessen Barrierefreiheit von Beginn an mitzudenken – dann würden beispielsweise barrierefreie Wohnungen auch nicht wesentlich teurer als die bisherigen. Angehende Architekten müssten dies bereits in ihren Studiengängen mitlernen, so Rink.
Beispiel Dänemark
„Länder wie Dänemark oder Jordanien sollten uns ein Vorbild sein. Sie genehmigen beispielsweise nur noch Bauvorhaben für Hotels, wenn diese durchweg barrierefrei geplant sind“, weiß Rink von positiven Beispielen zu berichten. „Diese Vorgehensweise hat sich bewährt und könnte von uns übernommen werden, wir müssten das Rad also nicht neu erfinden.“ Gleiches gelte für den Arbeitsbereich: Auch hier müsse die Umgebung barrierefrei werden, um Fachkräfte hinzuzugewinnen. „Meine Devise lautet: Auch wenn wir zunächst nur mit kleinen Veränderungen beginnen – wir müssen heute in die Aktie Barrierefreiheit investieren, damit wir demnächst die Gewinne daraus ziehen können“, so die Leiterin des Kompetenzzentrums.
Bürgersprechstunde geplant
Ihre Aufgabe ist es, Behörden, Städte und Gemeinden, aber auch Verbände zur Barrierefreiheit zu beraten, Informationen bereitzustellen und für das Thema zu sensibilisieren. Ab dem kommenden Jahr ist zudem eine Bürgersprechstunde der Landesbehindertenbeauftragten geplant. „Für Anfragen von Bürgern sind zunächst die Behindertenvertreter der Regionen zuständig. Allerdings ist der Austausch und die Beratung mit Expertenkreisen wie dem Landesbehindertenbeirat besonders wichtig für meine Arbeit. Ich brauche den Input, was schiefläuft im Land. Mithilfe der Verbände wie dem Sozialverband VdK können wir dann der Politik Druck machen, um Verbesserungen zu erreichen“, gibt Isabell Rink einen Einblick in ihre Arbeit.